Donnerstag, 3. Oktober 2019

Life Crime - Ordinary Madness Excess.

Als sich in den 1990er-Jahren mein persönlicher Musikgeschmack zu den extremeren Formen des Metals hin veränderte, machte mich das in meinem damaligen Freundeskreis sehr bald zum Aussenseiter. Ich kann mich noch gut erinnern, daß ein damaliger Kumpel ziemlich ratlos reagierte, als ich ihm eine beim damaligen Headbangers Ball mitgeschnittene Liveaufnahme von Napalm Death zeigte - er hatte mich im Verdacht, ich würde heimlich auf den Schnellvorlauf meiner Fernbedienung drücken, denn "so schnell wie dieser Schlagzeuger da könne ja niemand spielen."


Nun, dieser Schnösel hatte eben keine Ahnung von Mick Harris, dem damaligen ND-Drummer, ein obsessives Genie, daß nicht nur den Begriff "Grindcore" erfand (¹), sondern eben auch wie der Rest der Band auf einer todernst empfundenen Mission war, Songs in absoluter Lichtgeschwindigkeit herauszuballern.


Das kam daher, weil Mitte bis Ende der 1980er-Jahre der offiziell längst totgesagte Punk in diversen Subkulturen an Geschwindigkeit gewann und zu Hardcore mutierte. Die damaligen Bands - manche davon zu Legenden geworden, während andere oft nur ein, zwei Demos aufnahmen, bevor sie sich wieder auflösten - waren der Stoff, aus dem der britische Death Metal und Grindcore entstanden. Legendäre Formationen wie Crass, Discharge oder Siege waren die verehrten Vorbilder für die damals blutjungen Musiker. Death Metal begann dann natürlich bald damit, seine ganz eigenen Merkmale herauszubilden; Bands wie Napalm Death allerdings haben ihre Anfänge in Punk, Crust und Grind niemals vergessen und bis heute immer wieder in ihre Kompostionen inkorporiert.


An all das muss ich immer wieder denken, wenn ich "Ordinary Madness Excess" von LIFE CRIME höre. Keine Band von damals, auch wenn man das beim ersten Höreindruck vermuten könnte. Im Gegenteil, eine junge Formation aus Österreich, die sich genau diesem wunderbaren, kurzzeitigen und doch bis heute in vielen Szenen des extremen Metal erhaltenen Klangideal widmet (und die live auch mit Napalm Death aufgetreten sind, da schließt sich der Kreis).

Das bedeutet: Kurze, brachiale Songs voller unbändiger Wut und Agression. Ein Sänger (Peter C. Gigerl, bekennnender Bukowski-Fan), dessen unbequeme Befindlichkeiten man von sich selbst aus dunklen Stunden kennt, diese aber eigentlich lieber verdrängen würde. Splitternde, reißende Gitarrenriffs von Michael Fabian, meisterhaft dreckig umgesetzt (ich LIEBE dieses ungehörige Feedbackgepfeife, seid ich zum ersten mal EyeHateGod gehört habe) und ein Drummer (Claudio Petric) der mit der von mir so geschätzten Leichtigkeit und Rafinesse meisterlich zwischen pfeilschnellen Blastbeats und brachial-schweren Breaks changiert.


Es ist ein wahres Glück, daß dieser wunderbare Debüt-Release der Band auf CD konserviert ist. Denn kurz darauf war es schon wieder vorbei - die Band löste sich auf (auch das ganz im Stil der oben beschriebenen Heroen). Peter Gigerl widmet sich einem neuen Projekt, von dem es hoffentlich bald mal einen Release geben wird; Michael Fabian spielt seit geraumer Zeit in dem (sehr superen) Postmetal/Doom-Projekt Arctic Sea Survivors und Claudio Petric, der neben seinen Drumkünsten auch für das Artwork zuständig war, hat seine Kreativität nun in ein höchst erfolgreiches Tattoo-Studio transformiert.

Ob es einmal eine Reunion geben wird? Ich glaube eher nicht, aber "Ordinary Madness Excess" ist ein Werk mit so viel brutaler Substanz, daß es auch als Einzelphänomen Bestand hat. In Zeiten, in denen sogar Lee Dorrian sein uraltes Punk/Crust-Projekt Septic Tank wiederbelebt hat, kann man den Beitrag von LIFE CRIME zu dieser schnellen, agressiven Spielart des Metal/Punk gar nicht hoch genug schätzen.






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(¹) Mudrian, Albert, Choosing Death: The Improbable History of Death Metal & Grindcore, Bazillion Books, 2016

LIFE CRIME - Ordinary Madness Excess ist 2014 auf Unundeux (Cargo Records) erschienen - kannst du hier bestellen oder über Bandcamp ordern.

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